Ein gutes Glas Wein darf bei fast keinem feinen Essen fehlen, das eiskalte Feierabendbier – ein Genuss, der klitzekleine Schluck Whisky vor dem Schlafengehen zelebrieren zig Menschen.
Um alle Suchtmittel herum wird ein grosses Thema gemacht, zu Recht natürlich, finde ich. Allzu gut wissen wir, was sie anrichten.
Alkohol hingegen scheint oft völlig okay zu sein. Ein Gläschen Rotwein pro Tag wird vom Arzt immer noch als gesund empfohlen.
Was aber, wenn es nicht bei diesem einen Gläschen bleibt? Wenn der Konsum nahezu ins Uferlose steigt, sich leere Weinflaschen im Keller versteckt mehren.
Was ist, wenn ein mit zusammengedrückten Bierdosen vollgestopfter Abfallkübel im Schlafzimmer steht, die wöchentlich gekaufte Flasche Rum nicht fürs Weihnachtsguetzli backen ist, wie uns dies versichert wird?
Was, wenn wir beim Wocheneinkauf dabei sind, wohl wissend, was an Alkohol auf dem Einkaufszettel steht und dass dafür das letzte Münz im Portmonee zusammen geklaubt werden muss?
Was, wenn die Person morgens schon bei unserem Kontrollbesuch nach Alkohol riecht oder noch schlimmer – wir die Polizei rufen müssen, weil ihre Haustüre verschlossen ist und niemand auf unser Klingeln reagiert?
Wir finden wiederholt eine Klientin, mal liegend am Boden, mal quer über dem zusammengekrachten Bett, verletzt und wirr sprechend.
Die nächsten Tage verbringt sie wohl behütet in einem Spital.
Wir bleiben zurück mit einem dicken Kloss im Hals. Haben getan, was wir tun konnten.
Das haben wir doch, oder?
Wir probieren mit der Klientin über das Thema Alkoholkonsum zu sprechen. Vielleicht zu wenig direkt oder nicht oft genug? Weil es ein heikles Thema ist und für beide Seiten unangenehm? Die betreffende Person ist nicht bevormundet, darf einkaufen und trinken, was sie möchte. Auch hat sie uns wiederholt versichert weniger oder gar keinen Alkohol mehr zu trinken.
Wir sprechen im Team und mit unseren Vorgesetzten darüber, immer wieder.
Zurück bleibt meist eine Art Resignation. Wir möchten reagieren, agieren, mehr tun, aber wir haben kein Recht dazu.
Die Person ist längst erwachsen. Sie lebt ihr Leben so, wie SIE das möchte. Vielleicht auch so, wie es ihr Leben für sie vorgesehen hat.
Was wissen wir schon …
Es ist nicht an uns, sich mehr einzumischen und ihr zu sagen, was sie zu tun oder zu lassen hat.
Unsere Aufgabe ist es, sie bestmöglich zu begleiten und zu unterstützen. Ihr unsere Ohren, Hände und Augen in dieser Zeit auszuleihen, in welcher wir bei ihr sind und ihr und uns zu wünschen, dass es ihr gut geht dabei.